Sowohl für die Säuglingsnahrung als auch zur Darmsanierung und ähnliches werden Probiotika angeboten.
Der Nutzen ist mehr als fraglich:
http://www.deutschlandradiokultur.de/ernaehrung-warum-nur-tote-probiotika-gute-probiotika-sind.993.de.html?dram%3Aarticle_id=338802
„Probiotika, die unsere Darmflora stärken sollen, sind so überflüssig wie ein Kropf und im schlimmsten Fall sogar tödlich, warnt unser Kolumnist Udo Pollmer. Immerhin: die Lebensmittelindustrie habe bereits eine Alternative entwickelt.
Offenbar ist die EFSA, die Europäische Lebensmittelbehörde, der Ernährungsbranche ein Dorn im Auge. Sie tut einfach nicht, wie ihr geheißen. Statt die Werbephrasen der Hersteller und ihrer medizinischen Mietmäuler für bare Münze zu nehmen, verlangt sie solide Nachweise dafür, dass Probiotika tatsächlich nützlich sind. Wie ärgerlich.
Also hat die Wirtschaft, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen, ihre Kräfte in einer neuen Lobbyorganisation gebündelt, der „International Probiotics Association“. Da hinein fließen nun die Aktivitäten der beiden bisherigen Organisationen, der „Weltallianz für Probiotika“ und der „Gesellschaft für Joghurt und lebendfermentierte Milch“. So aufgeblasen wie diese Wortschöpfungen sind auch die Gesundheitsversprechen.
„Probiotika“, so eine Definition, „enthalten lebende Mikroorganismen, die sich in unserem Darm ansiedeln und unsere Darmflora stärken können.“ Aha. Wenn der Darmflora frische Kräfte zugeführt werden, dann suchen die Bösewichte also das Weite? In Wirklichkeit bekämpft die Darmflora alle Neuankömmlinge – sie teilt nicht gerne ihr Zuhause mit neuen Gästen, sie verteidigt ihr Terrain erbittert gegen „Mitesser“.
Verliert die Darmflora diesen Kampf, kann das bös ins Auge gehen. Laut Fachpresse kam es wiederholt zu Todesfällen durch Sepsis, weil es den probiotischen Keimen erfolgreich gelungen war, das Immunsystem zu überwinden.
Besser Bandwürmer statt Probiotika?
Wer also glaubt, Bakterien als Gesundheitstruppe in seine Eingeweide entsenden zu müssen, sollte es vielleicht mal mit Bandwürmern versuchen. Die bleichen Gesellen schinden sicherlich mehr Eindruck! Bandwürmer werden immer wieder mal therapeutisch in Damendärme entlassen: Als Schlankmacher. Die Idee dahinter: Die Viecher brauchen was zum Fressen und so sollte weniger für die Kundin bleiben. Klingt vielleicht logisch, ist aber genauso dämlich wie die Sache mit der „starken Darmflora“.
Da verstörte Verbraucher stets auf der Suche nach segensreichen Produkten für ihre Gefühlswelt sind, wird sogar Säuglingsnahrung mit Extra-Bazillen versetzt. Aus aktuellem Anlass weist das Bundesamt für Risikobewertung „darauf hin, dass sich anhand der verfügbaren Daten kein gesundheitlicher Nutzen von Säuglingsanfangs- und Folgenahrung mit Zusätzen … ableiten lässt.“
Entzückt berichtet ein Branchenportal, die Firma Nestle beginne sich von der Idee mit den lebenden Keimen zu verabschieden, sie setze neuerdings auf „Zombies“,– ich zitiere nur – also auf untote Bakterien.
Den vermeintlichen Darmsanierern wird das Lebenslicht weitgehend – aber eben nicht ganz ausgeblasen. Dadurch können die dreivierteltoten Gesundheitsboten keinen Schabernack mehr treiben und das Produkt ist außerdem noch länger haltbar.
Eine längere Haltbarkeit
Es ist schon lange bekannt, dass vor allem Lactobazillen ihre mikrobielle Umgebung mit speziellen Antibiotika in Schach halten. Vor allem bei der Haltbarmachung von Feinkostsalaten nutzt man diesen Effekt. Anstatt der verpönten chemischen Konservierungsmittel setzt man mikrobielle Schutzkulturen zu, insbesondere Milchsäurebakterien. Diese erzeugen nicht nur Säure, sondern vor allem zahlreiche Bakteriozine, eine Art Schmalspurantibiotika, die für die nötige Haltbarkeit sorgen.
Der entscheidende Vorteil von Schutzkulturen: Diese Bakterien pflegen sich gerade nicht im menschlichen Darm anzusiedeln. Und ihre antibiotischen Bakeriozine? Die waren schon im Essen, als noch niemand etwas davon ahnte. Mit einer milchsauren Fermentation haben unsere Vorfahren ihre leichtverderblichen Überschüsse haltbar gemacht. Daher rührt die breite Palette an gesäuerten Milchprodukten wie Joghurt oder Kefir und das Angebot an Salzgurken und Sauerkraut. Letztlich sorgen die Bakteriozine auch bei gereifter Rohwurst und Sauerteigbrot für eine längere Haltbarkeit.
Vor diesem Hintergrund sind Probiotika so überflüssig wie ein Kropf – dafür aber riskanter. Nestle hat offenbar als erste Firma eingesehen, dass nur tote Probiotika auch gute Probiotika sind. Mahlzeit!
Literatur
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Anon: Mutter gibt Tochter Bandwurm-Eier – zum Abnehmen. Focus Online 22. Aug. 2014
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